Das Ende der Berufe – über die Zukunft unserer Vorstellung von Arbeit

GESPRÄCH MIT OLE WINTERMANN
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Wie wird sich Arbeit in der Zukunft wandeln? Welche Grundkompetenzen werden verlangt? Matura oder Berufsausbildung? Wir haben beim Experten nachgefragt.

Sehr geehrter Herr Dr. Wintermann, wie wird sich Ar­beit in der Zukunft wandeln?

Herr Dr. Wintermann: Bis heute definieren wir Arbeit über Be­rufe, und zwar über die klassischen Berufs­bilder der letzten Jahrzehnte. Tatsächlich entstehen aber laufend neue Berufe, alte verschwinden. Jeder neue Beruf hat ein Problem sich in der Wahrnehmung gegen die tradierten Berufsbilder durchzusetzen. Unser Bildungs- und Ausbildungssystem ist zu langsam, um den Raster der bekannten Berufe ständig zu erweitern. Damit kann dieses System weder neue Berufe empfehlen noch entsprechend darauf vorbereiten. Als Lösung brauchen wir in Zukunft eine Entwicklung weg von der Berufszentrierung hin zu einer Tätigkeitszentrierung. Für das Bildungs-/Ausbildungssystem stehen dann nicht Berufe, sondern die Vermittlung von Grundkompetenzen, insbesondere im Um­feld der Digitalisierung im Mittelpunkt.

Welche Grundkompetenzen verlangt die Digitalisierung der Arbeitswelt?

Herr Dr. Wintermann: Diese Grundkompetenzen sind die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zum Teilen, etwa von Wissen, zu Kommunikation, Transparenz und Empathie. All diese Grundkompetenzen sind für das gegenwärtige und zukünftige digitale Arbeiten nötig. Dazu benötigen wir aber auch Lehrpersonal, das in der Lage ist diese Inhalte zu vermitteln und die Fachleu­te, die diese Kompetenzen wiederum den Lehrer:innen näherbringen.

Welche Bedeutung haben Alter und der demographische Wandel im Bereich der Digitalisierung der Arbeitswelt?

Herr Dr. Wintermann: Wenn wir heute erheben, wie in der Schule der Umgang mit der digitalen Welt aussieht, dann stellen wir fest: Lehrer:innen arbeiten mit dem Internet, die Schüler:innen im Internet. Demographisch zeigt sich auch ein negativer Zusammenhang im Informationsverhalten: Je höher das Alter, desto niedriger ist der digital erworbene Anteil der Informationen. Information ist aber die Grundlage jedes Erkenntnisvor­sprungs. Studien zeigen, dass im Digitalen die Schüler:innen oft einen Vorsprung vor den Lehrer:innen haben. Ähnliches gilt auch außerhalb der Schule – Stichwort lebenslanges Lernen: De facto nimmt aber die Konsumation von Fortbildungen ab 50 ab. Tatsächlich müssen wir aber ältere Personen aufgrund der starken Alterung der Gesellschaft möglichst lange im Arbeitsprozess halten und ihre Produktivität durch laufende Fortbildung forcieren. Dabei scheint sich zu zeigen, dass Fortbildung on the job, etwa durch Augmented Reality, effizienter ist als der Besuch klassischer Fortbildungsveranstaltungen.

Auf welcher Grundlage kann bzw. soll man als Jugendlicher Entscheidungen zur Berufswahl treffen?

Herr Dr. Wintermann: Bei der Entscheidung für die individuelle Zukunft ist die Berufszentrierung nicht mehr der passende Maßstab. Als ich in den 80ern studierte, gab es neben den berufsorientier­ten Studien wie Jus, BWL oder Medizin die sogenannten Neigungsstudien, zum Beispiel Kunstgeschichte. Damit fröhnte man damals zwar einem Hobby, entwickelte aber keine Berufschancen. Heute geht es tatsächlich darum, Neigungstätigkeiten zum Beruf zu machen. Es gilt, eigene Talente wie Zahlen und Logik, Kreativität, Interaktionsfähigkeit oder Überzeugungsfähigkeit zu erkennen und weiterzuentwickeln. Man muss wissen wofür man steht und authentisch bleiben. Dann sucht man einen Beruf, der dazu passt. Und wenn der Beruf vielleicht in ein paar Jahren wegfällt, bleibt die Neigung und der nächste Beruf folgt.

Immer mehr Schüler:innen entscheiden sich für den schulischen Weg zur Matura anstelle der dualen Berufsau­sbildung. Was spricht für den Weg in die Berufsausbildung und wem ist tatsächlich der Weg zu Matura und Hochschule zu raten?

Herr Dr. Wintermann: Diese klare Unterscheidung zwischen Berufs- und akademischer Ausbildung ist nicht zukunftsfähig. Diese Trennung in zwei Gebäude und Systeme macht keinen Sinn mehr. Anstelle traditionelle Berufswege einzuschlagen benötigen wir gelebte Diver­sität. Anstelle auf ein Zertifikat am Ende einer Laufbahn hinzuarbeiten brauchen wir mehr Durchlässigkeit im System.

Was raten Sie Jugendlichen von heute auf Basis Ihrer persönlichen Erfahrun­gen?

Herr Dr. Wintermann: Bleib‘ neugierig, mach‘, was Dir am meisten Spaß macht. Für Jugendliche ist es nicht leicht, diese Neigungen zu entdecken. Suche Dir in der Familie oder unter den Lehrer:innen einen Coach, der Dir dabei hilft.

Hintergrundinformation

Die Bertelsmann Stiftung, 1977 gegründet, ist eine selbstständige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz in Gütersloh, Deutschland. Die Stiftung erstellt Studien und Rankings, organisiert Modellprojekte, vermittelt Wissen und Kompetenzen, veranstaltet Kongresse und vergibt Preise. Die Stiftung investiert ihre Mittel in Projekte, die sie selbst initiiert, konzipiert und umsetzt. Beispiels­weise wichtige Arbeitsfelder sind die Bereiche Bildung, Demokratie, Gesellschaft, Gesundheit, Wirtschaft und Kultur. Die Bertelsmann Stiftung hält die Mehrheit der Anteile des Bertelsmann Konzerns.

www.bertelsmann-stiftung.de


Dr. Ole Wintermann

Bertelsmann Stiftung

Er bloggt unter www.zukunftderarbeit.de, www.globaler-wandel.eu, www.blog.aus-und-weiterbildung.eu, www.gov20.de und www.netzpiloten.de

Quelle: https://www.zukunftderarbeit.de/blogger/ole-wintermann/


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