“Querdenken, gut assoziieren und den Kern des Problems erkennen”. Helmut O. List spricht mit uns über sein Traditionsunternehmen und das Umfeld, in dem Neues entsteht.
Sehr geehrter Herr Prof. List, Erfinder:innen und ihre Produkte und Ideen haben laufenden Einfluss auf die Entwicklung von Menschen und Gesellschaft. Was zeichnet Erfinder:innen Ihrer Meinung nach aus?
Herr Prof. List: Als Erfinder:in, oder besser gesagt als Forscher:in muss man querdenken, sehr gut assoziieren und den Kern eines Problems erkennen können. Daraus entstehen dann wirklich neue Ideen. Entscheidend für AVL ist, vor unseren Kunden:innen und Mitbewerber:innen solche Lösungen für neue Herausforderungen zu finden. Dafür muss im Unternehmen ein pionierhafter Geist bzw. ein Umfeld geschaffen werden, wo Innovation stattfinden kann.
Was begünstigt ein „innovationsfreundliches“ Klima in einem (Bundes-) Land? Und was macht die AVL List GmbH so innovativ?
Herr Prof. List: Die Steiermark liegt mit einer Forschungsquote von 4,8 Prozent sehr gut und ist damit eine der führenden Forschungsregionen in Europa. Wir haben ein gutes Netzwerk von Universitäten, Industrie und mittelständischen Betrieben. Durch Cluster wie den ACstyria passiert der Austausch in der Industrie auf einem hohen Niveau.
AVL sucht sehr gezielt neue Herausforderungen bzw. Aufgabenstellungen, um neue Produkte und Leistungen anbieten zu können. Der wichtigste Faktor hierfür ist die Innovationskraft der Mitarbeiter:innen, die jene wichtigen Beiträge entwickeln, die für unsere Kunden:innen interessant sind. Dies ist auch an der großen Zahl an Patenten ersichtlich die wir jedes Jahr anmelden. AVL ist mit Abstand der größte Patentanmelder Österreichs und investiert jährlich rund zehn Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung.
Wie können wir uns den Prozess des Erfindens vorstellen? Sind (industrielle) Erfindungen ohne hochpreisiges Equipment überhaupt noch möglich?
Herr Prof. List: Die Erfindungen bzw. Innovationen „passieren“ ja nicht zufällig. Wir bauen hier auf langjährige Erfahrung auf und wissen genau, wo es Probleme zu lösen gilt. Dann versuchen wir, unseren Ingenieure:innen kreative Freiheit zu bieten, um bestmögliche Lösungen schaffen zu können. Durch unsere intensiven Kontakte zu unseren Kunden:innen verstehen und erfassen wir auch ihre kurz-und langfristigen Bedürfnisse. Und natürlich entstehen bei uns intern neue Ideen bzw. Erfindungen, mit denen wir zu gesellschaftlichen Herausforderungen wie z.B. die CO²-Emissionsreduktion beitragen. Ganz entscheidend ist es letztlich, unsere Ideen in neue Produkte umzusetzen, um die Kundenbedürfnisse präzise zu erfüllen. Für diese Umsetzung entwickeln wir selbst modernste Simulations-und Entwicklungswerkzeuge bzw. eine ganze Entwicklungsumgebung, ohne die Innovationen heute nicht mehr realisierbar wären.
Nicht jeder Innovationsprozess führt zum Erfolg. Wie viele Ideen braucht es, bis die „eine gute“ dabei ist? Welche Rolle spielen Glück und Zufall beim Erfinden und was können Sie uns über den Umgang mit dem Scheitern sagen?
Herr Prof. List: Forschen heißt, Risiken eingehen und damit auch scheitern können. Ein vorübergehendes Scheitern auf einem Weg bedeutet nicht, das Ziel aus den Augen verlieren zu müssen, sondern nur, dass man eine neue Richtung einschlagen muss. Wichtig ist es, aus allem zu lernen und damit Fehler in Zukunft zu vermeiden. Meist ist das aber das „Glück des Tüchtigen“ und ich betone hier „des Tüchtigen“, das den Erfolg ausmacht bzw. den Weg zu der „einen guten Idee“ weist.
Wir wechseln das Thema: Welchen Ratschlag können Sie aus Ihrer Erfahrung heraus den Jugendlichen von heute mit auf den Weg geben?
Herr Prof. List: Die Menschheit steht vor sehr großen Herausforderungen. Bei allem, was wir in Zukunft tun, sollten wir uns fragen, ob dieses Tun wirklich zur Lösung von Problemen wie der globalen Erderwärmung, begrenzten Energie-und Rohstoffressourcen, begrenzten Nahrungsmitteln etc. beiträgt. Viele Lösungen können nur auf der Basis rationaler, naturwissenschaftlicher Überlegungen gefunden werden. Für junge Menschen wird es daher in Zukunft noch wichtiger sein, die Natur bzw. die zugrundeliegenden Naturwissenschaften zu verstehen. Und so kann nur zu einer guten Allgemeinbildung in Verbindung mit ganz speziellem, naturwissenschaftlichem Wissen geraten werden.
Firmenprofil AVL List GmbH
Gründungsjahr: 1948
Unternehmensbereiche: Entwicklung Antriebssysteme, Motorenmesstechnik und Messsysteme, Advanced Simulation Technologies
Anzahl der MitarbeiterInnen weltweit: mehr als 11 200
Anzahl der MitarbeiterInnen Graz: 4.000
Niederlassungen weltweit: 45 AVL-Gesellschaften
Exportanteil: 97%
Anteil an eigenfinanzierter Forschung: ca. 11% des Umsatzes, AVL hat 2015 die meisten Patente Österreichs eingereicht
Umsatz 2014: 1,15 Milliarden Euro
Umsatz 2022: 1,86 Milliarden Euro
Prof. Dr. Helmut O. List
Vorstandsvorsitzender und CEO der AVL List GmbH
AVL ist das weltweit größte, unabhängige Unternehmen für die Entwicklung Simulation und Prüftechnik von Antriebssystemen (Hybrid, Verbrennungsmotoren, Getriebe, Elektromoren, Batterien und Software) für PKW, LKW und Grossmotoren