Transformation braucht Zeit & Engagement

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Zwei ausgewiesene Experten der Energie- und Klimapolitik erklären, wie wir die Energiewende schaffen können, warum auch das kleine Österreich Großes leisten kann und weshalb es nötig ist, dass wir alle einen Beitrag leisten.

“Energie sparen, vor allem so wenig Energie wie möglich vergeuden”

Wir sprechen mit Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Karl Rose über Klimaziele, Energieträger und Potenziale für Österreich.

Univ.Prof. Dipl.-Ing. Karl Rose ist Professor für Strategisches Management und angewandte Unternehmensführung am Zentrum für Entrepreneurship und angewandte Betriebswirtschaftslehre am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Universität Graz. Er studierte an der Montanuniversität Leoben Erdölwissenschaften und war beinahe 25 Jahre in leitender Position bei Royal Dutch Shell. 2010 bis 2017 leitete er als Senior Director Policy and Scenarios im Weltenergierat die Agenden „Internationale Energiepolitik und Entwicklung von globalen Energieszenarien 2050“. Von 2017 bis Juni 2022 war er Chefstratege und Chefökonom bei der Abu Dhabi National Oil Company. Karl Rose ist Aufsichtsratsmitglied der OMV AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Energie Steiermark.

Im Dezember 2020 hat die EU beschlossen, die Treibhausgasemis­sionen bis 2030 um 55 % (gegenüber 1990) zu reduzieren. Für die Klimaziele 2030 und für die Klimaneutralität Österreichs im Jahr 2040 sind weitreichende Transforma­tionsschritte zur Verminderung des Einsatzes fossiler Energie erforderlich. Wie realistisch sind diese Ziele?

Wenn wir uns alle wirklich bemühen, können wir dieses Ziel erreichen, ein bis zwei Jahre auf oder ab. In der Stromproduk­tion fehlen uns noch 27 Terrawattstunden (1 Terrawattstunde = 1 Milliarde Kilowatt­stunden), die wir von fossilen auf erneuer­bare Energie umstellen müssen. Wenn wir Glück haben, kommen neue Technologien, die den Transformationsprozess beschleu­nigen.

Warum ist es so schwierig, den Ausbau der Produktion von „grünem Strom“ durch Windenergie und Photovoltaik zu beschleunigen?

Wir haben bei der Photovoltaik tausende Anträge, die von den Netzbetreiber:innen abgelehnt werden müssen, weil sie in den Stromnetzen nicht Platz haben. Das hat damit zu tun, dass man nicht innerhalb von ein paar Jahren das gesamte Verteil­netz ändern kann. Unser Stromnetz basiert auf zentralen Kraftwerken, von denen die Leitungen zu den Verbraucher:innen führen. Mit Windparks und großen Photovoltaik- Freilandflächen liegt die Erzeugung nun oft in Gegenden, in denen die Infrastruktur dafür nicht ausgelegt ist. Die erforderlichen neuen Investitionen in den nötigen Ausbau der Netze werden uns noch viele Milliarden kosten. Neben der Frage der Finanzierung fehlen für eine schnelle Umstellung auch Personal und Material. Auch die ebenfalls nötigen neuen Trafo-Stationen sind sehr teuer und jeder Trafo hat eine Lieferzeit von bis zu einem Jahr.

Wie schnell lässt sich Erdgas durch andere Energieträger ersetzen?

Wir müssen differenzieren: Bis Anfang des Jahres ging es um die Verringerung des Gasverbrauchs im Interesse der Klimaziele. Jetzt wollen wir aus politisch-moralischen Gründen so rasch wie möglich die Abhän­gigkeit von russischem Gas reduzieren. Um auf Gas komplett zu verzichten (das wäre das Äquivalent von 13 großen Donaukraft­werken), gibt es technisch nur wenige Wege: Die Nutzung der österreichischen Gasvorkommen, Gas aus anderen inter­nationalen Quellen als Russland und den Ersatz von Gas durch Wasserstoff. Letzteres braucht aber technisch noch ein paar Jahre Entwicklung und würde den Bedarf an elektrischer Energie weiter erhöhen. Das wird also nicht von heute auf morgen reali­sierbar sein. Kurzfristig wirksame Optionen sind Sparen, Gas aus anderen Quellen als Russland importieren und das kurzfristige Ersetzen von Gas durch Öl und Kohle.

Welchen Weg können wir in Österreich beschreiten, um die gesetzten Klima­ziele zu erreichen?

Neben der Umstellung bei den Energie­trägern und in der Stromproduktion muss die Effizienz im Vordergrund stehen. Wir müssen Energie sparen, vor allem so wenig Energie wie möglich vergeuden. Wenn wir Energieeffizienz weltweit betrachten, dann ist Europa Weltmeister und innerhalb Euro­pas ist Österreich am besten. Wir haben schon viel erreicht und gerade in der Indus­trie ist es schwer, da noch etwas draufzu­setzen. Potenziale gibt es sicherlich im Gebäude- und Transportsektor, hier sind wir sehr verschwenderisch. Wir haben bei der Fernwärme zu hohe Rücklauftemperaturen, wir fahren zu viel mit dem Auto und unsere Autos sind zu groß. Wir könnten auch die Wärme, die in den Kanalnetzen steckt, nutzen, oder nach Geothermie bohren. All das macht man aber leider erst dann, wenn es sich aufgrund hoher Energiepreise auch rechnet oder wenn ein Mangel droht, der die Versorgung wichtiger werden lässt als die Kosten.

Welchen Ratschlag können Sie aus Ihrer Erfahrung den Jugendlichen von heute mit auf den Weg geben?

Der wichtigste Rat ist, den Mut nicht zu verlieren. Die Welt ist in vielen Bereichen besser geworden, etwa bei Kinderarbeit, Kindersterblichkeit und Lebenserwartung. Wir werden auch die Energie- und Klima­krise meistern. Das passiert aber nicht von selbst: Absolvieren Sie technische Aus­bildungen, denn diese Expert:innen werden Entscheidendes leisten müssen. Vergeuden Sie keine Energie, sehen Sie diese als wert­volles Gut, mit dem wir vernünftig haushal­ten müssen. Stellen Sie sich der Komplexi­tät der Welt. Debattieren Sie, wägen Sie Argumente ab, informieren Sie sich, hören Sie zu. Wir können es uns nicht leisten, dass weiterhin alle aneinander vorbeireden und Wissen durch Meinungen ersetzt wird.

Klimaschutz & Energieeffizienz

Univ.-Prof. Dr. Stefan Schleicher im Gespräch über den möglichen Beitrag der österreichischen Wirtschaft zum globalen Klimaschutz und realistische Lösungsansätze für eine komplexe Herausforderung.

Univ. Prof. Dr. Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen, vor allem in den Bereichen Energie und Klima.

Der Anteil Österreichs an den globalen Treibhaus­gasemissionen liegt unter 1%. Wie wichtig ist der Beitrag, den wir leisten können, tatsächlich?

Ich sehe zwei Motivationen für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten insbesondere im Bereich der energie- und emissionsinten­siven Industrie. Wenn wir hier Technologien entwickeln, die radikal weniger Treibhaus­gase emittieren, verbessern wir erstens un­sere eigene CO2-Bilanz und Österreich kann zweitens gerade bei der Transformation dieser energie- und emissionsintensiven Industrie weltweit zum Technologieführer werden. Zusätzlich reduzieren wir damit auch unsere eigene internationale Abhän­gigkeit von fossilen Rohstoffen und binden damit verstärkt Wertschöpfung im Inland.

Wie sieht der Weg von jährlich 80 Gigatonnen hin zu null Treibhausgasemissionen aus?

Nur mit der Umstellung auf erneuerbare Energien ist das nicht machbar, wir müssen auch die Effizienz der Nutzung von Energie deutlich erhöhen. Das wird wohl mehr Zeit brauchen, allerdings müssen wir alle – also Politik, Wirtschaft und KonsumentInnen – unsere Herangehensweise an das Thema grundlegend ändern. Wir haben dazu das Modell der drei „I“ entwickelt – Innovation, Integration und Inversion – um aus der Tunnelperspektive der jetzigen Energiedi­skussion herauszukommen.

Können Sie uns diese drei Begriffe bitte näher erläutern?

Bei der Innovation, also der Entwicklung neuer Technologien, ist wichtig, dass man nicht nur ein Detailproblem im Blick hat, für das man eine neue Lösung sucht, son­dern sich die ganze Wertschöpfungskette ansieht. Das führt uns zum zweiten Begriff, der Integration. Die Wertschöpfungskette der Energie reicht von der Erzeugung über die Transformation, die Speicherung und die Verteilung bis zur Verwendung. Erneuerbare Energie hat nur die Erzeugung im Blick. Integration bedeutet, Synergieeffekte zwischen unterschiedlichen Puzzlesteinen zu schaffen. Ein Beispiel: Es gibt bereits viele Installationen von Photovoltaik. Aber erst, wenn ich diese Erzeugung mit kleinen, leistbaren Batterien für die Speicherung kombinieren kann, wird das System wettbewerbsfähig werden.

Und der dritte Begriff?

Der dritte Begriff lautet Inversion. Einfach erklärt heißt das, dass man die übliche Ar­gumentation auf den Kopf stellen muss. Wir beginnen nicht beim Input des Energiesys­tems, also bei der Erzeugung, sondern wir fragen zuerst, wofür die Energie verwendet wird. Beim Verbrauch entdecken wir dann zum Beispiel die „Anergie“, das ist Abfall­energie, etwa das heiße Wasser, das wir von Geschirrspülern und Waschmaschinen in den Abfluss leiten. Dabei könnte man diese Energie mit Wärmetauschern wieder nutzbar machen.

Das klingt sehr klein, brauchen wir nicht dringend eine große Lösung?

Es sind die Emotionen rund um das Thema Klima, die nach großen Lösungen verlan­gen. Ich warne vor dem Klima-Hype; unser Weg am Wegener Center und am Institut für Wirtschaftsforschung führt daher über lösungsorientierte Konzepte. Das ist ein Weg vieler kleinerer und größerer Schritte. Bei näherem Hinsehen erkennen wir auch, dass wir nicht nur das Klimaproblem zu lösen haben, sondern viele Felder, die damit verbunden sind. Etwa unser Mobilitätsverhalten – also die Frage, wie wir uns Zugang zu Menschen, Gütern und Orten verschaf­fen. Wir werden viel Mobilität durch unser Kommunikationsverhalten ersetzen, etwa durch Videokonferenzen oder durch das Arbeiten von zuhause aus. Der inzwischen verstorbene Physiker Steven Hawking nahm schon als holografische Projektion an einer Konferenz in Australien teil, obwohl er tatsächlich in Cambridge war. Auch das 3D-Printing, also etwa Produkt- und Ersatz­teilbeschaffung vor Ort statt langer Trans­portwege ist hier zu nennen. Ein Beispiel wäre hier die US-Navy, die Ersatzteile bis hin zu Turbinenblättern auf den Schiffen selbst produziert.

Lässt sich bei all diesen Veränderun­gen ein Trend ableiten?

Wir brauchen in vielen Bereichen mehr Regionalisierung, von den Energiesystemen mit Smart Grids bis zur Arbeitswelt und der Produktion. Es ist aber ein weiter Weg, bis diese Veränderungen nicht nur technologisch möglich sind, sondern auch in der Bevölkerung und in unserem Verhalten ankommen.

Was raten Sie jungen Menschen auf Basis ihrer persönlichen Erfahrungen für die Zukunft?

Man kann sich nicht genug unterschiedliche Qualifikationen aneignen, möglichst weit gestreut. Nutzen Sie jede Möglichkeit ins Ausland zu gehen, egal welcher Schultyp und ich meine natürlich auch Lehrlinge. Damit ist das Erlernen mindestens einer Fremdsprache verbunden und der Umgang mit den neuen Werkzeugen der Informatik, da kann man sich nicht genug aneignen. Wir brauchen einen Lebensstil der digitalen Nomaden, denn Nomaden sind es gewöhnt, sich in unterschiedlichsten Umgebungen rasch anzupassen.


Univ.Prof. Dipl.-Ing. Karl Rose ist Professor für Strategisches Management und angewandte Unternehmensführung am Zentrum für Entrepreneurship und angewandte Betriebswirtschaftslehre am Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship der Universität Graz sowie Aufsichtsratsmitglied der OMV AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Energie Steiermark.

Univ. Prof. Dr. Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen, vor allem in den Bereichen Energie und Klima


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