Künstliche Intelligenz – Entwicklungen, Chancen und Risiken

Gespräch mit Horst Bischof
Schreibmaschine: Text: Artificial Intelligence

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Wir haben beim Experten nachgefragt: was hat es damit auf sich?

Sehr geehrter Herr Bischof, erklären Sie uns bitte, was „Künstliche Intelligenz“ ist.

Vorab: Der Begriff „Intelligenz“ ist miss­verständlich. In der Technik versteht man darunter im Wesentlichen das Sammeln, Verarbeiten und Bewerten von Daten und das daraus resultierende Ziehen von Schlüssen. Die auf den Menschen bezogene Intelligenz umfasst wesentlich mehr. Daher bevorzuge ich den englischen Begriff „Artificial Intelligence“, um die technische Interpretation von Intelligenz zu betonen. Die Gründerväter der AI in den 1950 Jahren hatten definiert, was sie tun wollten: Maschinen bauen, die menschenähnliche Fähigkeiten im Denken haben. Dazu gehört, als ganz wesentliche Eigenschaft, aus Bei­spielen zu lernen. Auch logisches Schließen und vieles andere gehört dazu.

Warum ist AI in den letzten Jahren so ein bedeutendes Thema geworden?

AI ist so bedeutend geworden, weil wir seit rund zehn Jahren über die Grundlagen verfügen, um AI umzusetzen. Was wir an Fortschritten sehen, sind primär Fortschritte im Maschinellen Lernen, genauer gesagt im „Deep Learning“. Zur Umsetzung benötigt man die passenden Algorithmen, die sich seit den 1980ern nicht mehr so stark gewandelt haben. Diese Algorithmen brauchen sehr große Datenmengen zum Trainieren. Daher sind Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon, die über die entsprechend großen Datenmengen verfügen, extrem an diesem Thema interessiert. Der letzte benötigte Baustein ist Rechenpower in Form eigener Prozessoren und Serverfarmen. Auch darü­ber verfügt man heute.

Worin liegt der Nutzen von AI?

Sehen wir uns die Treiber dieser Techno­logie an: Einer ist definitiv das autonome Fahren, genauer nicht das Auto selbst, sondern die Medienindustrie. Denn bewegt sich das Fahrzeug autonom, kann der/die Fahrer:in Medien konsumieren, also zu Kunden:innen werden. Ein zweiter Treiber sind die intelligenten Such- und Werbe­funktionen, wie sie Google oder Amazon einsetzen. Durch das bessere Verstehen des Nutzer:innenverhaltens und der Nutzer:in­nenwünsche kann Werbung besser platziert werden. In einem gewissen Maß ist auch die konventionelle Automatisierung ein Treiber, also die Nutzung von AI in Pro­duktionsprozessen, wobei ich das eher als „Kolateralnutzen“ einstufe.

Wie profitieren wir als Konsumenten:innen?

Womit jeder zu tun hat, ist das Smartphone. Hier sorgt AI unter anderem für das Funktio­nieren von Sprachbefehlen und für bessere Kamerabilder. Wenn man heute am Handy die Kamera auslöst, macht die Kamera nicht ein Foto, sondern eine ganze Serie. Das beste Foto wird automatisch – also durch AI – ausgesucht und präsentiert. Dahinter steckt etwa die AI-Fähigkeit, ein Gesicht zu erkennen und danach die Belichtung auszurichten. AI steckt auch in der Aus­wahl von Suchergebnissen im Internet und Empfehlungen in Online-Shops. Dies ist einerseits komfortabel, führt andererseits auch zu bedenklichen Entwicklungen. Bei der Entwicklung hin zum autonomen Fahren profitieren wir heute schon von einem Plus an Fahrsicherheit: Bremsassistenten etc. sind Systeme, die aus der AI kommen.

Welche Auswirkungen hat AI auf den Arbeitsmarkt?

Wir sehen in der Automatisierung, dass in einer Vorphase der AI manuelle Tätig­keiten ersetzt wurden. Jetzt beginnt AI erstmals, Bürojobs zu automatisieren. Weniger anspruchsvolle Bürotätigkeiten wie z. B. Informationen sammeln, Gerichts­akten recherchieren, etc. werden über kurz oder lang automatisiert und von Algorith­men abgelöst werden. Auch Tätigkeiten wie Übersetzen, das Verschriftlichen von Diktaten gehören dazu. Das können mittler­weile Algorithmen besser als Menschen. Mit der Automatisierung sind mehr Jobs entstanden als verloren gingen, aber immer in einem anderen Bereich. Das gleiche wird mit AI-Anwendungen geschehen. Wir haben also kein Jobproblem, dafür haben wir ein sehr großes Qualifizierungsproblem. Wenn ein Job wegfällt, muss man sich gänzlich anders qualifizieren, um wieder einen zu bekommen.

AI eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Manipulation und der Überwachung. Wie stellt man sich diesen Problemfeldern?

China zeigt uns vor was passiert, wenn wir uns keine oder die falschen Regeln geben. Da sind wir nahe an einem Orwell‘schen Überwachungsstaat, wenn nicht sogar weiter. Um sich frei zu bewegen, benötigt man „Social Credits“, die man mit Fehlver­halten verliert. Kontrolliert wird das eigene Verhalten durch Überwachungskameras. Bei uns wird die Definition der richtigen Regeln von Expert:innen, auch auf EU-Ebe­ne in entsprechenden Gremien, diskutiert. Eine relevante Frage ist, wie bekomme ich das in eine breite, öffentliche Diskussion, die auch fundiert ist. Die Datensicherheit ist technisch gesehen kein Problem, die können wir sicherstellen. Aber das muss eben der Gesetzgeber so implementieren.

Auch die neuen Manipulationsmöglichkei­ten sind zu bedenken: Wir hatten gelernt, dass wir Foto- und Filmaufnahmen vertrau­en konnten. Heute sind Fake-Videos leicht herzustellen, aber nicht mehr mit freiem Auge zu entlarven.

Welchen Rat würden Sie Jugend­lichen heute mit auf den Weg geben, welche Ausbildungswege würden Sie empfehlen?

Ich kann nur allen empfehlen, sich mit den Grundlagen des Programmierens und des kombinierten Denkens zu beschäftigen. Das sind Grundvoraussetzungen in unserer heutigen Gesellschaft. In unserem Schulsystem ist das kaum zu fin­den, am ehesten in Spezialschulen mit ent­sprechenden Schwerpunkten und in HTLs. Größer ist das Angebot an Hochschulen.


Horst Bischof ist Vizerektor für Forschung an der TU Graz und Professor am Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen. Die Forschungsthemen von Horst Bischof reichen von der Objekterkennung und statistischen Methoden des maschinellen Lernens bis hin zu Anwendungen im Bereich der Überwachung, Biometrie, Robotik und medizinischen Bildverarbeitung.


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