Wir haben beim Experten nachgefragt: In welchem Zusammenhang steht unser Wirtschaftssystem mit unseren Werten? Diese und weitere spannende Fragen, gibt es hier zum Nachlesen.
Herr Dr. Popp, einer aktuellen Studie zufolge wird die Wirtschaft in österreichischen Schulbüchern mehrheitlich aus einem kritischen Blickwinkel betrachtet. Warum ist das so?
Die Kritik an „der Wirtschaft“ bezieht sich häufig auf Vorbehalte gegenüber dem Wirtschaftswachstum. Leider fehlt in diesen meist gut gemeinten Diskussionen die nötige Differenzierung. Denn eine schwächelnde Wirtschaft hat negative Konsequenzen für viele Lebensbereiche. Wenn nämlich die Erträge aus der Produktion und den Dienstleistungen im mehrjährigen Durchschnitt nicht wenigstens moderat steigen, führt dies zum Abbau von Arbeitsplätzen und zur Verringerung der Kaufkraft. Darüber hinaus muss mit Einsparungen bei der Finanzierung des Bildungssystems, des Gesundheitssystems, der Forschung, der Infrastruktur sowie der öffentlichen und sozialen Sicherheit gerechnet werden. Außerdem stehen weniger Budgetmittel für den Klima-, Natur- und Umweltschutz zur Verfügung. Ökonomie, Ökologie und sozialer Zusammenhalt sind also keine Gegner, und die Zukunft der Wirtschaftswelt ist bunt und nicht schwarz-weiß.
Persönliche Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Demokratie sind Werte, die Österreich und Europa auszeichnen. In welchem Zusammenhang steht unser Wirtschaftssystem mit diesen Werten?
In demokratiepolitisch gut entwickelten Ländern glauben die meisten Bürger:innen zu Recht daran, dass die Zukunft nicht schicksalhaft auf uns zukommt, sondern dass wir vorausschauend, vorausplanend und vorsorgend auf die Zukunft zugehen. Eine zukunftsfähige Demokratie lebt vom Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Besonders wichtig ist die rechtliche Garantie der persönlichen Freiheit, die sich jedoch nur unter den Rahmenbedingungen der öffentlichen und sozialen Sicherheit entfalten kann. Aber Demokratie, Freiheit und Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif! Nur die von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen erwirtschaftete Wertschöpfung ermöglicht die Finanzierung der vielfältigen Leistungen des Staates. Darüber hinaus sorgt eine funktionierende Marktwirtschaft für den Lebensstandard und die Kaufkraft der Bürger:innen. Sowohl dieser Lebensstandard als auch die staatlichen Leistungen bilden die Grundlage für eine möglichst hohe Lebensqualität. Diese Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Wertschöpfung, demokratischen Werten und sozialer Wertschätzung müssten zukünftig von möglichst vielen Bürger:innen durchschaut werden.
Warum wäre es wichtig, Wirtschaft in ihren Grundzügen ebenso gut zu verstehen wie – um bei Schulfächern zu bleiben – z. B. Sprachen, Mathematik, Biologie oder Geschichte?
Allzu viele Menschen meinen, dass „die Wirtschaft“ vor allem eine Angelegenheit von Unternehmer:innen ist. Richtig ist vielmehr, dass alle Bürger:innen in vielfältiger Weise Teil des Wirtschaftssystems sind, z. B. als Arbeitnehmer:innen, Pensionist:innen, Steuerzahler:innen, Taschengeldbezieher:innen, Konsument:innen, Sparer:innen, Kreditnehmer:innen, Mieter:innen, Immobilienbesitzer:innen, Autofahrer:innen, Urlaubsreisende usw. Außerdem wird durch das Wahlverhalten der Bürger:innen die Wirtschaftspolitik sowohl der Republik Österreich als auch der Europäischen Union beeinflusst. Nur wer sich in der Wirtschaft auskennt, kann vom / von der Zuschauer:in zum / zur Gestalter:in werden. Für jene Menschen, die keine Ahnung von den komplizierten Zusammenhängen des Wirtschaftslebens haben, gilt der kluge Satz der berühmten Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: „Wer nichts weiß, muss alles glauben!“ In diesem Sinne glauben leider viele Leute an falsche Prognosen, die häufig zu übertriebener Zukunftsangst führen. Mehr Wissen über die Wirtschaft erfordert selbstverständlich eine bessere wirtschaftliche Bildung. Dafür braucht es nicht unbedingt ein zusätzliches Unterrichtsfach. Denn in fast allen bereits bestehenden Fächern gibt es wichtige Bezüge zum Wirtschaftsleben, die zukünftig sowohl von den Lehrer:innen als auch in den Schulbüchern deutlicher hervorgehoben werden müssten.
Was raten Sie jungen Menschen auf Basis ihrer persönlichen Erfahrungen für die Zukunft?
Die Zukunft ist das Reich der Möglichkeiten und die zukünftige Wirtschaftswelt bietet viele Chancen – vor allem für neugierige Menschen, die Bestehendes in Fragen stellen, über Verbesserungen nachdenken und nicht jeder Antwort glauben.
Univ-Prof. Dr. Reinhold Popp
leitet das „INSTITUTE FOR FUTURES RESEARCH IN HUMAN SCIENCES“ an der Sigmund Freud-Privatuniversität Wien und lehrt im Masterstudiengang für Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. www.reinhold-popp.at