Geschichte ist ein aufregender Prozess, der dazu einlädt, das Heute aus dem Gestern zu erklären. So beruht auch der derzeitige Entwicklungsstand der steirischen Wirtschaft auf ihrer Historie, die wir hier in aller Knappheit skizzieren. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt – dafür sind die Entscheidungsprozesse, die sie vorantreiben viel zu komplex – kann man aus ihr lernen.
TEIL 1 – ERZHERZOG JOHANN
Unser historischer Rückblick beginnt relativ spät mit Erzherzog Johann (1782 – 1859) – und dies deshalb, weil hier ein wirtschaftspolitischer Prozess in Gang gesetzt wurde, der bis heute nachwirkt. Denn der Erzherzog legte den Grundstein für die heutige Technische Universität in Graz und die Montanuniversität in Leoben. Diese Initiativen des Erzherzogs hatten einen sehr praktischen Hintergrund: Er lernte in den Jahren 1815 und 1816 die neuesten Errungenschaften der englischen Industrie, wie etwa die Dampfmaschine, kennen. Allerdings verstand er, dass es nicht genügen würde, die englischen Vorbilder einfach zu kopieren – er verschränkte Wirtschaft und Wissenschaft miteinander, um so den Boden für dauerhaften Fortschritt aufzubereiten.
TEIL 2 – WIEDERAUFBAU UND VERSTAATLICHTE INDUSTRIE
Im Nachkriegsösterreich, noch unter den Besatzungsmächten, wurden unter anderem die Eisen-und Stahlindustrie verstaatlicht, wodurch es gelang große Teile ehemals deutschen Eigentums in österreichischen Besitz zu bringen und gleichzeitig vor dem Zugriff der Besatzungsmächte zu schützen. Als größter Arbeitgeber Österreichs leistete „die Verstaatlichte“ einen erfolgreichen und wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau Österreichs.
TEIL 3 – ÖLPREISKRISEN UND REZESSION
Der Erfolgslauf der verstaatlichten Industrie fand mit den Ölpreisschocks 1973 und 1978 ein jähes Ende: Private wie verstaatlichte Betriebe schlitterten in eine tiefe Rezession, die zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit führte. Die österreichische Wirtschaftspolitik war zu dieser Zeit der Ansicht, dass die Rezession maßgeblich durch eine weltweite Konjunkturkrise verursacht sei. Das Gegenrezept erschien logisch: Trotz anhaltender Rezession nahm die Verstaatlichte immer mehr Beschäftigte auf, um einen Teil der in der Privatwirtschaft entstandenen Arbeitslosigkeit aufzufangen. Gleichzeitig wurden die Beschäftigten der Verstaatlichten überdurchschnittlich gut bezahlt, um so die Inlandsnachfrage anzukurbeln und die Gesamtwirtschaft zu stärken
TEIL 4 – DIE LOHN/PREIS-SPIRALE
Da sich die Wirtschaft die hohen Löhne in der Rezession nicht leisten konnte, mussten die Preise steigen – worauf wiederum mit höherem Löhnen reagiert wurde. Diese Entwicklung führte in ein Desaster: Die Verstaatlichte wurde zum unfinanzierbaren Fass ohne Boden, die Konjunkturkrise wurde zur Strukturkrise.
TEIL 5 – DIE PRIVATISIERUNG DER VERSTAATLICHTEN INDUSTRIE
Nachdem die verstaatlichte Industrie und die mit ihr verbundene Wirtschaftspolitik gescheitert war, entschloss sich der Staat Österreich in den 90er-Jahren zur Privatisierung – ein letzter großer Finanzierungsschritt sollte diese grundlegende strukturelle Veränderung ermöglichen.
In der Steiermark schlug man nun einen besonderen Weg ein, der letztendlich an den Ideen Erzherzog Johanns anknüpfte: Die steirische Politik gab in den 80er-Jahren die „Regionalstudie Obersteiermark“ in Auftrag. Das WIFO und Dr. Gunther Tichy, Professor der Volkswirtschaft an der Uni Graz, analysierten auf wirtschaftswissenschaftlicher Basis den Zustand und vor allem die Zukunftschancen der steirischen Industrie. Sowohl die Politik als auch die Industrie selbst nahmen diese Empfehlung auf: Die Weiterentwicklung der bestehenden Stärken, das Setzen auf eine technologieorientierte Nischenpolitik für den Weltmarkt, getragen von Entrepreneurship als einzige Chance, auf einem hohen Lohnniveau erfolgreich zu agieren.
TEIL 6 – CHANCEN DURCH DIE EU
Die Umsetzung dieser wirtschaftspolitischen Agenda bis hin zur steirischen Cluster-Philosophie wurde letztlich nur durch den EU-Beitritt Österreichs ermöglicht – zum einen durch die Chancen des Binnenmarktes, zum anderen durch die Nutzung der EU-Förderungen als Treibstoff für den Modernisierungsmotor.
TEIL 7 – DER WEG IN DIE ZUKUNFT
Die „Stärkefeldmatrix“ schlägt nun in eine ähnliche Kerbe: Sie analysiert die aktuellen Stärken des produzierenden Sektors, den damit verbundenen Bedarf an Entwicklungsschritten in Wissenschaft, Forschung, Wirtschafts- und Förderpolitik und nicht zuletzt im Bildungssystem (Stichworte „Fachkräftemangel“ und „Future Skills“) und skizziert so einen wissenschaftlich fundierten Weg in die Zukunft. Die Industriegeschichte hat sich in der Steiermark von der faktorgetriebenen Ökonomie – etwa mit dem Erzberg als Rohstofflieferant – über eine effizienzgetriebene Ökonomie – als Beispiel sei hier die Entwicklung der Eisen-und Stahlerzeugung genannt – hin zur wissensgetriebenen Ökonomie entwickelt.
Ökonomische Modelle
Global betrachtet lassen sich Ökonomien in folgenden Modellen zusammenfassen – die in der Praxis in Mischformen bestehen:
Faktorgetriebene Ökonomie
Wettbewerbsvorteile durch billige Arbeitskräfte und billige Rohstoffe, eingesetzt in technologisch nicht allzu anspruchsvollen Bereichen. Beispiele: Türkei, Asien
Effizienzgetriebene Ökonomie
Optimierung der Produktionsprozesse, z.B. durch Automatisierungstechnik, hier bestehen bereits hohe Ansprüche an Ausbildung und Wissenschaft.
Wissensgetriebene Ökonomie
Hier bewegen sich die steirischen Leitbetriebe und „hidden champions“: Dieses Modell ist getragen von ständiger Innovation und der Umsetzung von Innovation in technologischer Anwendung für den Weltmarkt in schmalen Nischen. Da der technologische Vorsprung auf Basis des hohen Entwicklungstempos nur von kurzer Dauer ist, muss er laufend neu erarbeitet werden.
Linkliste
Fachkräftemangel – Experteninterview mit Thomas Krautzer
Future Skills: Was man heute lernen sollte