Stahlkraft für morgen

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Seit mehr als 50 Jahren schmilzt die Marienhütte mitten in Graz neuen Stahl aus altem Eisen. Wir sprachen mit CEO Markus Ritter über saubere Stahlerzeugung, die Bedeutung der Industrie für die Steiermark, seine Rollen in der Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer Steiermark und die Berufschancen für junge Menschen in der steirischen Industrie.

Aus unansehnlichem, scheinbar unbrauchbarem Müll werden in weniger als 3 Stunden hochwertige Bauprodukte für eine gute Zukunft produziert – mit viel Know-how und höchstem Respekt vor Mensch und Umwelt produziert das Stahl- und Walzwerk Marienhütte ein hochwertiges Bauprodukt, den Betonstahl. CEO Markus Ritter ist seit 25 Jahren in dem Familienbetrieb beschäftigt, seit 2006 leitet er ihn. Future traf ihn zu einem spannenden Interview.

Future: Die Industrie gilt als Rückgrat der sterischen Wirtschaft. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern kurz erklären, welche Bedeutung die Industrie in der Steiermark hat?

Ritter: Die Industrie und Industrienahe Dienstleistungen sind gemeinsam für knapp 35 Prozent der Wertschöpfung in der Steiermark verantwortlich – und sichert somit unseren Wohlstand. Und sie ist ein wichtiger Arbeitgeber: 122.000 steirische Jobs werden direkt aus der Industrie generiert (Quelle: WIBIS; Anm. der Redaktion), wenn man die diversen Multiplikationsfaktoren dazu nimmt, kann man nochmals 1,6 pro Industriearbeiter:innen dazurechnen. Dazu kommt, dass die Industrie wesentlich dazu beiträgt, dass die Steiermark österreichweit auf Platz 1 bei Forschung und Entwicklung ist. Vieles, was in der Steiermark entwickelt wird, entsteht in der Industrie. Wir hatten in der Steiermark immer schon Stahlproduktion, dazu viel Grundstoffindustrie wie Papier und Glas sowie Maschinen- und Fahrzeugbau. Dazu kommen die wichtigen Cluster, wie zum Beispiel der Mobilitätscluster, der junge Life-Science-Cluster oder der Automatisierungscluster. Und wir sind weit vorne in den Informations- und Kommunikationstechnologien und in den Umwelttechnologien. Gemeinsam mit Oberösterreich steht die Steiermark an der Spitze der österreichischen Industrieländer. Letztlich sichert all das den Standort und so auch unserer Zukunft.

Future: Viele junge Menschen können sich unter Industrie wenig vorstellen. Was würden Sie einer Schülerin oder einem Schüler sagen, der sich für einen Job in der Industrie interessiert?

Ritter: Zum einen ist es glaube ich wichtig, sich klarzumachen, dass ganz vieles von dem, was wir gern und täglich nutzen, aus der Industrie kommt: Ob das das Innenleben des Handys, die Kartonverpackung oder ein Medikament ist, all das wird von unserer steirischen Industrie hergestellt. Das heißt, in der Industrie arbeiten Menschen, die sich darüber Gedanken machen, was wir brauchen und wie man diese Dinge herstellen kann; das erfordert Kreativität. Zum anderen ist in der Industrie, wie kaum in einem anderen Berufsfeld, Leistung gefragt. Und hier werden gute Leistungen auch sehr schnell belohnt. Wenn man Leistung und Geschwindigkeit mag, dann ist man hier genau richtig.

Future: Wie genau läuft die Produktion in der Marienhütte ab?

Ritter: Wir arbeiten im Bereich der Grundstoffindustrie und schmelzen aus Schrott, der ja eigentlich als Abfall betrachtet wird, hochwertigen Betonstahl. Dabei haben wir eine Recyclingquote von 100 Prozent. Was nicht zu Betonstahl wird, kommt als Hüttenschotter zum Beispiel im Straßenbau zum Einsatz oder wird, wie der Staub, der bei der Produktion entsteht und viel Zinkoxid enthält, zu Zink veredelt. Das Wasser, das wir zum Kühlen brauchen, wird im Kreis geführt, unser Nebenprodukt, die Wärme, versorgt mehr als 50.000 Grazerinnen und Grazer mit CO2-freier Fernwärme. Angeliefert wird der Schrott per Bahn, die Marienhütte liegt ja direkt an der Bahnstrecke. Und geliefert wird unser Betonstahl nur in einem Umkreis von 500 Kilometern – weil es wirtschaftlich und ökologisch nicht sinnvoll ist, Betonstahl quer durch die ganze Welt zu führen.

Wir arbeiten nicht mit Hochöfen, sondern mit einem Elektro-Lichtbogenofen. Da gehen etwas über 40 Tonnen Schrott hinein und werden in 40 Minuten zu Flüssigstahl geschmolzen. Dieser kommt dann in einen sogenannten Pfannenofen, da wird noch nachjustiert, und dann kommt dieser flüssige Stahl in sogenannte Kupferkokillen, also Kupferrohre, wo er heruntergekühlt und zum Erstarren gebracht wird. Kupfer wird verwendet, weil es besonders leitfähig ist und man so den Stahl auf seinem Weg durch die Kokillen zum Erstarren bringt. Heraus kommt dann der so genannte „Knüppel“, das kann man sich so vorstellen wir das Brett bei der Holzproduktion. Dieser wird dann auf Walztemperatur erhitzt und wird dort in die endgültige Form gewalzt – von 8 Millimeter bis zu 40 Millimeter. Die Walzware, also der gewalzte Stahl, wird zu 14 Meter langen Stangen geschnitten oder auf Drahtspulen aufgespult. Aus diesem Material werden von unseren Kunden, den Eisenbiegern  all die Drahtkörbe und -geflechte hergestellt, die man unter anderem auf Autobahnbaustellen sieht.

Marienhütte in Graz, , Foto: mKniepeis

Future: Sie sind nicht nur CEO in der Marienhütte, sondern auch Vizepräsident in der Industriellenvereinigung Steiermark und Spartenobmann der Industrie in der Wirtschaftskammer Steiermark. Was motiviert Sie in Ihrer Arbeit – sowohl im Unternehmen als auch als Funktionär?

Ritter: In meine Rolle in der Stahlindustrie bin ich nicht ganz freiwillig gerutscht – mit meinem ursprünglichen Berufswunsch hat das nichts zu tun gehabt. Ich habe Jus studiert und war dann kurz nach dem österreichischen Beitritt zur EU unter den ersten österreichischen Beamten in der Europäischen Kommission. Aber dann ist leider sehr plötzlich mein Vater verstorben und ich habe in das Familienunternehmen gewechselt – das Geschäft habe ich sozusagen im zweiten Bildungsweg erlernt. Das war – vor allem zu Beginn – nicht immer leicht, aber es hat natürlich auch Vorteile, wenn man die Logik der öffentlichen Verwaltung kennt. In der Marienhütte hatte ich dann in der Person des damaligen Geschäftsführers einen wunderbaren Lehrmeister und Mentor. Er hat immer gesagt: „Du kannst alles kritisieren, aber du musst zuerst versuchen, es besser zu machen“. Das ist bis heute mein Credo und auch mein Antrieb für meine Tätigkeiten in der IV und WKO. Hier habe ich die Möglichkeit, aktiv daran mitzuarbeiten, dass sich Rahmenbedingungen zum Besseren entwickeln.

Future: Was genau sind Ihre Aufgaben in der Marienhütte und was macht Ihren Arbeitsalltag spannend?

Ritter: Im Unternehmen gilt es, Visionen für die Zukunft zu entwickeln – wo möchten wir in drei, in fünf Jahren sein und was braucht es, um dort hinzukommen. Ich habe in meiner Führungsfunktion natürlich täglich mit Menschen zu tun, wir haben 300 Mitarbeiter:innen – diese zu motivieren, ist extrem wichtig. Und ich bin auch Mädchen für alles: Wir sind eine relativ kleine Organisation, da gibt es nicht für jeden Fachbereich einen Experten. Das macht die Tätigkeit sehr abwechslungsreich und spannend. Jeder Arbeitstag ist anders und ich weiß in der Früh, wenn ich ins Büro gehe, nicht, was ich bis zu Abend erlebt haben werde. Das ist auch der große Unterschied zu meinem vorherigen Beruf: In der Europäischen Kommission war täglich klar, was wann stattfinden wird. Mir gefällt die täglich neue Herausforderung besser.

Marienhütte in Graz, Foto: mKniepeiss

Future: Was sind die größten Stärken der heimischen Industrie?

Ritter: Wir haben sehr gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Worum uns viele beneiden, ist die enge Kooperation zwischen Hochschulen, privaten Forschungseinrichtungen und Industrie und die guten Kontakte in Richtung Landespolitik, und zwar zu allen Parteien. Das ist ein Netzwerk, aus dem die hohe Innovationskraft der Steiermark gespeist wird. Dazu kommt, dass unser Bundesland eine gewisse „Industrietradition“ hat, die wir auch ins 21. Jahrhundert tragen konnten – daraus resultiert ein breites Verständnis in der Bevölkerung für das, was wir tun und was das für jeden Einzelnen bringt.

Future: Und was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Ritter: Der Fachkräftemangel ist sicher ein Thema. Wie erwähnt, haben wir sehr gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nur leider zu wenig davon. Wichtig ist es, schon in der Schule das richtige Bild von der Industrie zu vermitteln. Außerdem muss die Ausbildung besser koordiniert werden. Dann gibt es natürlich noch das Riesenthema der Dekarbonisierung und der Energietransformation, das müssen wir sowohl technisch in den Griff bekommen als auch finanziell.

Future: Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?

Ritter: In der IV und in der Wirtschaftskammer ist es uns wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen. Und wir setzen uns dafür ein, dass die steirische Industrie wettbewerbsfähig bleibt: Wir müssen nicht nur mit Asien, sondern auch mit Italien und Deutschland mithalten können. Mir persönlich ist es auch besonders wichtig, den immer noch behaupteten Gegensatz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu überwinden. Richtig verstanden geht es immer nur um dasselbe: Die gemeinsame Sicherung des Standortes. Wir sitzen alle in einem Boot und müssen miteinander statt gegeneinander arbeiten.

Stichwort Fachkräftemangel: Als Unternehmer habe ich es ja auch in der Hand, selbst Lehrlinge auszubilden und mich dafür einzusetzen, dass meine Mitarbeiter sich so wohl fühlen, dass sie möglichst lange im Betrieb bleiben.

Und die Marienhütte ist das beste Beispiel für gelungene Dekarbonisierung: Wir tun ja im Grund nichts anderes.

Future: Welche Rolle spielen Digitalisierung und KI in der Industrie?

Ritter: Digitalisierung ist bei uns natürlich sehr wichtig und kommt in vielen Bereichen zum Einsatz. Wie die KI die Industrie verändern wird, ist sehr schwer vorherzusagen. . Wir werden mit Sicherheit von einer verbesserten Automatisierungstechnik profitieren, aber gerade Industriearbeiter sind von der KI relativ wenig gefährdet. Wichtig wird für uns als Menschen sein, dass wir uns unseren kritischen (Haus-)verstand erhalten – Und dass dieser in allen Lebensbereichen gefördert wird.

Die Geschichte der Marienhütte

1948 gründete Franz Großschädl in Lebring einen Eisenhandel mit Torstahlverwindebetrieb. 1962 begann er mit der Stahlerzeugung, 1969/70 folgte am heutigen Standort das Stahl- und Walzwerk Marienhütte, das erstmals den gesamten Prozess – Schmelzen, Gießen, Walzen, Verwinden – an einem Ort vereinte. 1987 übernahmen AVI und EVG das Werk und spezialisierten es auf Betonstahl. 2013 wurden erstmals über 400.000 Tonnen Stahl erzeugt, dazu erhielt die Marienhütte als eines der ersten Werke Europas das SustSteel-Zertifikat. Mit bloß 293 kg CO2 pro Tonne Stahl emittiert die Marienhütte bei der Stahlproduktion weniger CO2 als jedes andere Stahlwerk der Welt. Heute ist die Marienhütte Österreichs einziger Betonstahlhersteller, beschäftigt 300 Mitarbeiter:innen und arbeitet mit 100 % Recyclingquote.

Weitere Infos: www.marienhuette.at/unternehmensgeschichte

Factbox Markus Ritter

Markus Ritter ist seit 2006 Geschäftsführer bei der Stahl- und Walzwerk Marienhütte GmbH. Darüber hinaus fungiert als Vorstandsmitglied der Industriellenvereinigung Steiermark, seit einem Jahr ist er Vizepräsident. Zudem hat er in der Wirtschaftskammer Steiermark die Position des Spartenobmanns für die Sparte Industrie inne. Ritter hat Jus studiert und war Beamter in der Europäischen Kommission, bevor er den Familienbetrieb übernahm.

Dr. Markus Ritter, Foto: Marija Kanizaj

Steirische Stahlindustrie im Wandel

Die Metallgewinnung hat in der Steiermark eine lange Tradition und war immer schon ein wichtiger Faktor, der die Entwicklung in unserem Bundesland maßgeblich vorangetrieben hat. Begonnen hat alles mit dem Eisenabbau am Erzberg im 6. Jahrhundert: der Startpunkt der steirischen Industriegeschichte. Ein weiterer Meilenstein war die Gründung der Montanuniversität Leoben durch Erzherzog Johann im Jahr 1840. Heute ist die Steiermark – nicht zuletzt durch die Innovationen im Stahl- und Walzwerk Marienhütte – führend im Bereich ressourcenschonender Stahlproduktion. So verzeichnet die Marienhütte nicht nur eine Recyclingquote von 100 Prozent, sondern auch einen europaweit einzigartig niedrigen CO2-Fussabdruck.

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