Spannendes Hintergrundwissen: Biotechnologie – so vielfältig wie die Natur

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Biotechnologie ist Spitzentechnologie an der Schnittstelle von Biologie, Medizin, Chemie und Ingenieurwissenschaften. Ziel ist es, Zellen, Organismen oder Biomoleküle nutzbar zu machen.

Folgende Themen findest du im Artikel:

Wo wird Biotechnologie angewendet?

Da die Einsatzmöglichkeiten von Biotechnologie äußerst vielfältig sind, kann man sie in folgende Bereiche einteilen:

  • Grüne Biotechnologie: Pflanzenbiotechnologie – Einsatz in der Landwirtschaft
  • Rote Biotechnologie: medizinische Biotechnologie – Einsatz in der Medizin und Pharmazeutik
  • Weiße Biotechnologie: industrielle Biotechnologie – Einsatz in der Industrie
  • Graue Biotechnologie: Einsatz in der Abfallwirtschaft
  • Braune Biotechnologie: technische bzw. Umwelttechnologie
  • Blaue Biotechnologie: biotechnologische Nutzung von Meeresressourcen

Die Geschichte der Biotechnologie

Alles begann mit der Ernährung vor 10.000 Jahren

Gentechnik in ihrer einfachsten Form beginnt damit, dass die Menschen vor rund 10.000 Jahren sesshaft geworden sind und etwas angebaut haben. Hier beginnt das Züchten von Pflanzen, die mehr Ertrag bringen.

6.000 Jahre alt ist das erste Rezept für das Brauen von Bier, entdeckt auf einer in Keilschrift beschriebenen Tafel der Sumerer. Ohne es zu wissen, machte man sich mit dem Brauen von Bier erstmals Mikroben zunutze, denn das Brauen ist ein Fermentationsprozess, bei dem Mikroben Zucker in Alkohol umwandeln. Das Reich der Sumerer befand sich in Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris im heutigen Irak. Im Laufe der Zeit entstanden Rezepturen für Lebensmittel wie Wein, Essig, Käse und Joghurt – auch hier sind Fermentationsprozesse im Spiel.


Das Mikroskop und die Entdeckung der Mikroorganismen in der Neuzeit

Der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) baute Mikroskope mit einer bis zu 270-fachen Vergrößerung. So entdeckte er die Welt der Mikroorganismen, darunter Bakterien, Protozoen und andere Einzeller. Das erste Enzym, die Amylase, wurde 1833 beschrieben. Mitte des 19. Jahrhunderts forschten Louis Pasteur (Frankreich) und Robert Koch (Deutschland) an Infektionskrankheiten und erfanden die Impfungen gegen Cholera und Tollwut. Die im engen Wettstreit arbeitenden Wissenschaftler gelten als die Väter der Bakteriologie, Mikrobiologie und Immunologie.

Mehr dazu in diesem unterhaltsamen Kursvideo aus der Arte-Mediathek: https://www.arte.tv/de/videos/114533-000-A/robert-koch-und-louis-pasteur/


Zitronensäure: das erste industriell hergestellte Produkt der Biotechnologie

Zitronensäure ist das erste Produkt, das im Jahr 1917 biotechnologisch auf Basis eines Schimmelpilzes hergestellt wurde. Dieser Pilz wird heute auch noch verwendet, allerdings in gentechnisch veränderter Form. Zitronensäure wird vielfältig verwendet: zur Säuerung und Konservierung von Lebensmitteln, als Wasserenthärter, Kalklöser, Entrostungsmittel und einiges mehr.

Der Begriff Biotechnologie

Der Begriff Biotechnologie fiel erstmals im Jahr 1919. Geprägt wurde er von Károly Eriky, einem ungarischen Ingenieur, der das Biotechnologie-Zeitalter vorhersagte.


Die Entdeckung von Penicillin: ein Meilenstein der Medizin

Der schottische Mediziner und Bakteriologe Alexander Fleming (1881-1955) entdeckte 1928 durch Zufall die bakterientötende (antibakterielle) Substanz eines Pilzes, für die er unter dem Namen Penicillin den Nobelpreis erhielt. Mit diesem ersten Antibiotikum beginnt ein neues Zeitalter in der Behandlung bakterieller Erkrankungen wie Tuberkulose, Keuchhusten, Scharlach und vielen mehr.

Der Weg der Gentechnik

Im Jahr 1944 wurde in den USA erstmals die DNA als Träger der Erbinformation beschrieben. Das Zeitalter der Gentechnik wurde 1953 mit der Entdeckung der DNA-Struktur durch Watson und Crick eingeleitet, die dafür den Nobelpreis erhielten. Den Grundstein für den Erfolg der beiden legte Rosalind Franklin: Sie entwickelte eine Methode, um mittels Röntgenstrahlen die Doppelhelix Struktur der DNA abzubilden.


Insulin – das erste gentechnisch hergestellte Medikament

Das erste gentechnisch hergestellte Medikament am Markt war 1982 Insulin, das zuvor kostspielig aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen und Rindern gewonnen werden musste. Insulin ist ein Hormon, das den Blutzucker senkt.


Die Entschlüsselung des Menschen: das Human Genom Project

Im Jahr 1990 begann die Arbeit daran, das menschliche Genom zu sequenzieren. Im Jahr 2003 waren 92 % des Genoms entschlüsselt, für die letzten acht Prozent dauerte es bis 2022. Letztlich wurden rund 20.000 Gene gefunden, aus denen das menschliche Genom besteht. Das Genom ist der vollständige Chromosomensatz und umfasst alle Gene des Menschen.


Die Anwendung der Gentechnik im Labor

Im Jahr 2010 wurde die erste funktionelle Bakterienzelle produziert, die ein rein künstliches Genom enthielt. Das heißt, einer Bakterienzelle wurde „fremde Erbinformation“ eingepflanzt. Damit wurde das Feld der synthetischen Biologie eröffnet.

Die „Genschere“

Ein weiterer Meilenstein der modernen Biotechnologie ist ebenfalls mit einem Nobelpreis ausgezeichnet: Eine Arbeitsgruppe um die US-Amerikanerin Jennifer Dounda und die Französin Emmanuelle Charpentier entwickelte im Jahr 2012 „crispr cas 9“, die Genschere. Mit der „Genschere“ ist es möglich, einen DNA-Strang an einer genau definierten Stelle zu durchtrennen, einzelne Gene auszuschneiden und andere Gene einzufügen.


Videolink: Wie funktioniert die Genschere Crispr
https://www1.wdr.de/mediathek/video-wie-funktioniert-die-genschere-crispr-100.html

Welche Technologien ermöglichen Biotechnologie?

  • Mikroskop
  • KI
  • Simulation
  • Regelungstechnik
  • Labortechnik
  • Gentechnik

Die Größenverhältnisse in der Biotechnologie

Wir leben in einer „makroskopischen“ Welt, in der wir Menschen und andere Lebewesen mit unserem Auge betrachten können. Das ist die Welt der Meter, Zentimeter und Millimeter. Im Bereich der Zentimeter und Millimeter bewegt sich auch unser Blick auf die inneren Organe, die Blutgefäße und Muskeln.


Um unsere Körperzellen zu betrachten, müssen wir in die mikroskopische Welt eintauchen. Nur noch Mikrometer klein sind unsere Körperzellen. Mikrometer sind tausendstel von Millimetern. Noch kleiner ist die „nanoskopische“ Welt: In den Zellen befinden sich noch kleinere Bestandteile wie Enzyme, die dort chemische Reaktionen umsetzen. Hier befinden wir uns im Nanometerbereich, mathematisch ausgedrückt 10 hoch Minus Eins.

Was ist ein Enzym?

Enzyme sind wichtige Werkzeuge der Biotechnologie. Die meisten Enzyme sind Proteine, also Eiweißkörper. Enzyme sind Biokatalysatoren, die chemische Reaktionen innerhalb eines Organismus ermöglichen und beschleunigen, ohne sich dabei selbst zu verändern.

Was ist das Mikrobiom?

Der Körper eines erwachsenen Menschen wird von rund zwei Kilogramm Mikroorgansimen besiedelt, die nicht Teil der Körperzellen sind. Diese Mikroorganismen leben in Gemeinschaften, den sogenannten Mikrobiomen, zusammen. Sie setzen sich zusammen aus Bakterien, Archaeen, Viren, Pilzen und Protozoen. Mikrobiome besiedeln auch Tiere und Pflanzen. Sie können unter anderem das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Hormonsystem ihres Wirts beeinflussen.


Das bekannteste Mikrobiom im menschlichen Körper, die Darmflora, besiedelt den Verdauungstrakt. Auch die Haut, der Nasen-/Rachenraum, die Lunge sowie die Harn- und Geschlechtsorgane sind besiedelt. Die Erforschung und Beeinflussung des Mikrobioms ist ein wichtiger Bestandteil der Biotechnologie, denn viele Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes, Asthma oder Darmerkrankungen sind mit dem Zustand des Mikrobioms verbunden. Daher wird für zukünftige Therapien daran geforscht, wie durch den Einsatz von Probiotika (Mikroorganismen, die zum Einnehmen verabreicht werden) ein gesundheitlicher Nutzen erreicht werden kann.

Biotechnologie – Beispiele aus der aktuellen Forschung

Enzyme für saubere Wäsche

Werbung bewirbt Waschmittel, die Flecken bereits bei niedrigen und damit energiesparenden Temperaturen entfernen können. Möglich ist das mithilfe von Enzymen, die Flecken von Kohlehydraten, Proteinen und Fetten beseitigen.

Gentechnik gegen Stechmücken

Manche Gelsen können gefährliche Krankheiten wie etwa Dengue-Fieber übertragen. Im Jahr 2015 hat man in Florida erstmals versucht, die männlichen Exemplare der Gelbfiebermücken gentechnisch zu manipulieren, statt über große Flächen Insektizide auszubringen. Befruchten die manipulierten Männchen die Weibchen – und nur weibliche Mücken stechen uns Menschen -, kommen nur Männchen zur Welt. Unumstritten sind die Gen-Mücken in den USA nicht.

Biotechnologie gegen Borkenkäfer

Borkenkäfer verursachen große Schäden in unseren Fichtenwäldern. Sie befallen vor allem Bäume, die durch Trockenheit und Hitze geschwächt sind. Am Institut für Umweltbiotechnologie an der TU Graz forscht man daran, wie man mit Mikroorganismen die Widerstandskraft der Bäume gegen die Larven der Käfer stärken kann.


Die Idee, Pflanzen über Mikroorganismen im Boden zu stärken, wird bereits für unterschiedlichste Anwendungen in der Landwirtschaft verfolgt. Dadurch könnte der für die Natur schädliche Pestizideinsatz zur Schädlingsbekämpfung vermindert werden.

Plastik, Treibstoff und Futtermittel aus CO2

Am Institut für molekulare Biotechnologie wird mit bestimmten Bakterien gearbeitet, die CO2 in Kombination mit anderen Gasen mittels Biofermentation in Bioplastik umwandelt. Ziel ist, diese Bakterien gentechnisch so zu verändern, dass sie aus CO2 Plastik, Biotreibstoffe oder Futtermittel erzeugen.

Rückgewinnung von Lithium

Eine Forschungskooperation zwischen der BOKU Tulln und der IMC University of Applied Sciences Krems entwickelt ein umweltfreundliches und nachhaltiges Verfahren, um Seltene Erden wie Lithium, mittels biotechnologischer Verfahren aus Elektroschrott zurückzugewinnen.

Biotechnologie in der Abfallwirtschaft

Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze können zur biologischen Entgiftung von Ökosystemen genutzt werden, die verunreinigt und mit Schadstoffen belastet sind. Diese Fähigkeit wird zum Beispiel in Kläranlagen, zum Reinigen von Ölteppichen und zum Abbau von Schwermetallen genutzt.

Biotechnologie und Digitalisierung: App zur Schwindelerkennung

Wenn Personen unter Schwindel leiden und damit zum/zur Hausärzt:in kommen, ist das oft der Beginn einer langen Reise. Denn die Ursache dieser Schwindelattacken ist nicht leicht zu finden. Als Fachdisziplinen kommen HNO (Hals-Nasen-Ohren), Neurologie (Nerven) oder Orthopädie (Bewegungsapparat) in Frage. In jedem Fach braucht es mehrere Spezialuntersuchungen, um die Ursache des Schwindels zu finden und eine entsprechende Behandlung einleiten zu können. Es ist Zufall, ob man zu Beginn oder erst am Ende beim richtigen Facharzt landet. Die Untersuchungen kosten viel Geld und es kann Monate dauern, bis man die wirkliche Ursache gefunden hat.


Zwei Grazer Orthoptist:innen* haben einen Test mit hoher Trefferquote entwickelt, um anhand von Augenbewegungen der Patient:innen zu erkennen, welche der drei Fachrichtungen richtig wäre. Diese Orthoptist:innen sind aber nicht ausreichend, um alle Patient:innen testen zu können. Zufällig sind Freunde der beiden Frauen Techniker, die Apps entwickeln können. Gemeinsam haben sie nun ein Start-Up gegründet und das Fachwissen in eine App gepackt. Mit dieser App können Allgemeinmediziner:innen in ihren Ordinationen den Test an Schwindelpatient:innen durchführen und sie sehr rasch zum passenden Facharzt überweisen.

Gut für die Augen: „Goldener“ Reis
Dass Beta-Carotin gut für die Augen ist, weiß jede Karotte. Beta-Carotin ist eine Vorstufe zu Vitamin A und wird vom Körper bedarfsabhängig in Vitamin A umgewandelt. Vitamin A ist für den Sehvorgang, das Wachstum, das Immunsystem und die Entwicklung verschiedenster Zellen und Gewebe notwendig. Nun gibt es Länder, in denen sich die Bevölkerung aufgrund von Armut größtenteils von Reis ernährt. Reis enthält aber kein Beta-Carotin und das Ergebnis dieser Mangelernährung sind weit verbreitete Augenerkrankungen. Herkömmlicher Reis enthält nur eine Vorstufe von Beta-Carotin, die der menschliche Körper leider nicht verarbeiten kann. „Goldener“ Reis ist gentechnisch so verändert, dass er Beta-Carotin liefert und damit Augenleiden vorbeugt. Da Beta-Carotin auch jener Farbstoff ist, der Karotten orange färbt, färbt er auch den Reis. Deshalb der Name „Golden Rice“.


Biotechnologie in der Steiermark

In der Steiermark bestehen 13 Cluster mit dem Ziel, Unternehmen, Forschung und Politik aufeinander abzustimmen und so deren wirtschaftlichen Erfolg zu stärken. Drei dieser Cluster sind in der Biotechnologie aktiv und arbeiten auch immer wieder projektbezogen zusammen:

  • ACIB – Austrian Centre of Industrial Biotechnology: ACIB entwickelt nachhaltige, ökonomisch und technologisch fortgeschrittene Prozesse für die biotechnische, pharmazeutische und chemische Industrie.
  • Human.technology Styria: Der Cluster bündelt, vernetzt und entwickelt die steirische Life Science Branche, insbesondere in den Bereichen Medizintechnik, Pharmazie, Biotechnologie, Gesundheit und Nachhaltigkeit
  • Styrian Food Hub: Der Styrian Food Hub bündelt Fachkompetenzen und technologisches Knowhow, vernetzt heimische Unternehmen vom Startup bis zum Großbetrieb mit internationalen Partnern, forciert Innovation, Digitalisierung, KI und den Weg auf den Weltmarkt rund um den „Feinkostladen Steiermark“.


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Gentechnik und Ethik

Die Möglichkeit, in die Gene von Lebewesen einzugreifen und diese zu manipulieren, wirft grundsätzliche ethische Fragen auf. Wo liegt der Vorteil, welche Nachteile sind möglich? Soll man es dem Menschen wirklich erlauben, die Baupläne der Natur zu verändern?


„Darf Wissenschaft alles, was sie kann?“ Dieser Frage widmet sich der gleichnamige Ethik-Schwerpunkt im CoSA. Anhand von Exhibits im Ausstellungsbereich der Triade werden die Besucherinnen an die Thematik herangeführt: Was ist Gentechnik und wie kann sie angewandt werden? Welche Folgen haben die Anwendungen und welche Argumente werden dabei vorgebracht? Und vor allem: Welche ethischen Fragestellungen werden dadurch aufgeworfen? Besucherinnen erfahren dabei, dass sie Teil einer Gesellschaft sind, die sich immer wieder mit schwierigen ethischen Themen auseinandersetzen muss. Sie werden dazu motiviert, kritische Fragen zu stellen und sich eine Meinung zu bilden. Dabei erfahren sie, wie schnell man sich dabei in einem Dilemma wiederfinden kann.
https://www.museum-joanneum.at/cosa-graz/programm/schule-jugendgruppe/events/event/12774/darf-wissenschaft-alles-was-sie-kann-1


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    Wir fragen bei ACIB, dem Austrian Center of Industrial Biotechnology nach, mit welchen Werkzeugen man sich im Inneren von Zellen bewegt und wo Biotechnologie eingesetzt werden kann.
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