Die Vielfalt der Biotechnologie

Gespräch mit Pascal Mülner
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Pascal Mülner ist stellvertretender Geschäftsführer des Clusters Human.technology Styria mit Sitz in Graz. In diesem Gespräch erzählt er uns, wie unglaublich vielfältig Bio- und Humantechnologie sind, welchen Stellenwert die Biotechnologie für die Steiermark hat, was ihn selbst in diese Branche geführt hat und wie ein Cluster funktioniert.

Was ist die Aufgabe von Human.technology Styria?

Wir sind eine Cluster-Organisation mit Schwerpunkt Humantechnologie und feiern gerade unser 20-Jahr-Jubiläum. Als Cluster bilden wir die Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

Was versteht man unter Humantechnologie?

Unter Humantechnologie fallen Pharmazie, Biotechnologie, Medizintechnik und die dazugehörige Digitalisierung – also alles, das Bezug zur Gesundheit des Menschen hat.

Was kann man sich unter Humantechnologie konkret vorstellen?

Um zu verstehen, was Humantechnologie ist, muss man nur überlegen, was es alles in einem Krankenhaus gibt: Wir finden da sehr viele Werkzeuge und Geräte, die Ärzt:innen und Pflegepersonal bei der Behandlung brauchen – das beginnt beim einfachen Pflaster und Verbandsmaterial, geht über Fieberthermometer, Injektionsnadeln und Blutdruckmesser usw. In den Operationssälen braucht es alle Werkzeuge für die Chirurgie – vom Skalpell bis hin zum Operationsroboter und allen Geräten, an die Patient:innen während einer Operation oder in der Intensivstation angeschlossen sind, um die Körperfunktionen zu überwachen.

Zusätzlich benötigen wir Geräte zur Analyse von Blut, Harn und Gewebeproben oder für Röntgen, Magnetresonanz und Computertomografie. Zu erwähnen sind natürlich noch eine Vielzahl an festen und flüssigen Medikamenten und der große Bereich der Software, die im Krankenhaus verwendet wird – sie reicht von der Verwaltung der Patient:innenakten bis zur Personalplanung.

Vertreter:innen all dieser Sparten sind bei uns im Cluster Mitglied: Krankenanstalten, universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen, die in diesem extrem breiten Feld aktiv sind. Insgesamt haben wir über 150 Partner:innen im Cluster vereint.

Wie wird die Arbeit des Clusters finanziert?

Finanziert wird unsere Arbeit zum einen Teil aus den Mitgliedsbeiträgen der Partner:innen, zum anderen durch Fördergelder des Landes Steiermark, des Bundes und der EU. Das spiegelt auch die Liste jener wider, die nicht nur Mitglieder, sondern die Gesellschafter:innen des Clusters sind:

  • Medizinische Universität Graz
  • SFG
  • Joanneum Research
  • Cancom Austria AG
  • Payer International Technologies GmbH
  • Zeta GmbH
  • VTU Top GmbH
  • Roche Diagnostics Österreich
  • Neuroth Gruppe

Was ist der konkrete Auftrag des Clusters?

Die Idee hinter einem Cluster ist – wir alle kennen in der Steiermark den Mobilitäts-Cluster – dass alle, die sich in einem bestimmten Segment engagieren, zusammenarbeiten und sich austauschen. Unser zentraler Auftrag ist es daher, unsere Partner:innen in unterschiedlichen Kooperationen miteinander zu verknüpfen. Ergänzt wird diese Tätigkeit um Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Hier verfolgen wir zwei Ziele. Zum einen sollen alle wissen, dass es uns gibt und dass es spannende Unternehmen in der Steiermark gibt, die Arbeitsplätze anbieten, zum anderen machen wir die Leistungen unseres Clusters international bekannter.

Dazu organisieren wir internationale Veranstaltungen, Messen und Konferenzen. Mit Delegationen besuchen wir interessante Märkte wie Deutschland, die USA oder Dubai, aber auch besonders fortschrittliche skandinavische Länder, etwa was den Umgang mit Gesundheitsdaten betrifft.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Tätigkeit ist die Forschung: Hier sehen wir, wie wichtig der wirtschaftspolitische Ansatz der Cluster in der Steiermark ist. Überall dort, wo es Cluster gibt, investieren Unternehmen besonders stark in Forschung und Entwicklung. Es ist sicher zu wenig bekannt, dass die Steiermark zu jenen drei Regionen in der EU mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung zählt. Da matcht sich die Steiermark mit Paris und Baden-Württemberg.

Können Sie uns etwas genauer erklären, was wir uns unter dem Verknüpfen von Netzwerkpartner:innen vorstellen können?

Im Endergebnis geht es darum, dass wir aus unserer Rolle heraus mehr Arbeitsplätze in den Life Sciences insgesamt und damit auch in der Biotechnologie in der Steiermark schaffen. Das schaffen wir, indem wir Unternehmen dabei unterstützen, zu wachsen. Die Basis unserer Netzwerkarbeit ist, dass wir über sehr viele Fachbereiche der Biotechnologie ein Basiswissen haben. Wir wissen, woran unsere Partner:innen forschen und welches Spezialwissen vorhanden ist. Unsere Partner:innen sind Spezialist:innen, die über ihren Fachbereich extrem viel wissen. Oft braucht man aber einander, um einen Schritt weiterzugehen. Dann können wir als Generalist:innen sehr gut vermitteln. Unsere Struktur braucht man auch, weil wir eine sehr vertrauenswürdige Drehscheibe sind. Spezialist:innen, insbesondere in der Forschung und Entwicklung, geben firmeninterne Informationen sehr ungern weiter. Niemand erklärt einem Fremden gern, was man im Detail tut und wo man Unterstützung brauchen könnte – uns aber schon. In unseren Verträgen mit unseren Mitglieder:innen ist eine Verschwiegenheitsklausel festgeschrieben.

Für uns besteht die Kunst nun darin herauszufinden, wer was braucht und wer mit wem zum Vorteil beider Seiten kooperieren könnte. Wenn sich durch unser Mitwirken Partner:innen gefunden haben, braucht es in Folge uns als Schnittstelle nicht mehr, dann haben die Firmen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und können direkt miteinander reden. Das ist als Cluster unser Auftrag.

Wo hat der Cluster seine Räumlichkeiten?

Wir sind Teil der Medical Science City. Hier finden sich in unmittelbarer Nähe zueinander die Medizinische Universität Graz, das LKH-Univ. Klinikum Graz und das Zentrum für Wissens- und Technologietransfer in der Medizin (ZWT). Unternehmen, Fachärzt:innen und Techniker:innen unterschiedlichster Richtungen forschen gemeinsam mit den Universitätsinstituten.

Welche Rolle spielt der „Faktor Mensch in diesem hochtechnischen Feld“?

Alles, was in der Biotechnologie und Medizintechnik entwickelt wird, muss schlau sein und einen Mehrwert bringen. Es muss aber auch von den Menschen, die damit arbeiten sollen, angenommen werden. Daraus ergibt sich ein weiterer Teil unserer Arbeit: Wir bringen Entwickler:innen mit End-Anwender:innen zusammen, damit rechtzeitig erkannt wird, ob eine Idee am Markt überhaupt eine Chance hat. So spart man Umwege und merkt – vielleicht – rechtzeitig, wenn man am Markt vorbeiarbeitet.

Kommen wir zurück zu den Berufsfeldern, auf denen Biotechnologie aufbaut. Was hat denn Sie persönlich in dieses Feld geführt?

Biotechnologische Berufsfelder haben ihren Ausgangspunkt entweder in der Medizin, in der Chemie oder in der Biochemie. Ich kann Ihnen nur erzählen, wie das bei mir selbst war. Ausgangspunkt waren meine Eltern. Wenn im TV „Universum“ gelaufen ist, durfte ich als Kind etwas länger aufbleiben. Darauf führe ich mein grundlegendes Interesse an Naturwissenschaften zurück.

Später hatte ich eine sehr gute Chemielehrerin, die Chemie selbst spannend gefunden hat und das im Unterricht auch vermitteln konnte. Das war ansteckend und mitentscheidend für die Wahl meines Studiums. Rund um die Chemie gibt es unterschiedlichste Zweige. Für mich war letztendlich Molekularbiologie der Ausgangspunkt, Biotechnologie wurde mein Masterstudium.

Waren Sie an einem naturwissenschaftlichen oder humanistischen Gymnasium?

Es war ein BRG, aber in der Praxis gab es eine Mischung aus einem naturwissenschaftlichen Gymnasium mit hohen Sprachenanteil. Heute ist das klarer getrennt. Ich möchte unbedingt darauf hinweisen, dass man in der Biotechnologie auch ohne Studium tätig sein kann. An der TU wird beispielsweise eine Lehre zum biologisch-technischen Assistenten angeboten. Labortechniker:innen sind in unserer Wachstumsbranche sehr gesuchte Leute!

Berufsfelder:

  • Chemie
  • Biochemie
  • Molekularbiologie
  • Biotechnologie
  • Biologie
    Labortechnik

Was ist für Sie das Faszinierende an der Biotechnologie?

Es ist eine moderne und aufstrebende Branche, in der sehr viel passiert. Gleichzeitig ist es eine der ältesten Industrien der Welt: Am Anfang stand die Lebensmittelbiotechnologie: Brot, Käseherstellung, Bier, Wein – all das sind technologische Prozesse, an denen Mikroorganismen beteiligt sind. Das ist auch die Definition von Biotechnologie: technologische Prozesse, an denen Mikroorganismen beteiligt sind. Als ich mit dem Studium begonnen hatte, machte ein Zitat von Bill Gates die Runde: „Wenn ihr etwas machen wollt, das Zukunft hat, dann geht entweder in den Bereich IT und Künstliche Intelligenz oder in den Bereich der Life Science, also der Biotechnologie.“

Welche Schwerpunkte gibt es in der Biotechnologie?

Wir haben die klassische Lebensmittel-Biotechnologie mit einem Institut an der TU. Hier ist etwa die Erzeugung von Würsten wie Frankfurter, vegane Alternativen etc. ein Thema.


Wir haben die Umwelt-Biotechnologie, in der man mit Mikroorganismen in der Landwirtschaft versucht, die Pflanzen über dem Boden zu stärken und weniger Pestizide zu benötigen. Insbesondere in der Landwirtschaft wird das Ziel verfolgt, biologische Alternativen zu finden, die das Wachstum fördern und die Gesundheit der Pflanzen stärken, um Ernteausfälle zu verringern oder zu verhindern.


Der dritte große Bereich ist die Entwicklung hochwirksamer, komplizierter pharmazeutischer Wirkstoffe, die nur mit Biotechnologie machbar sind. Ein bekanntes Beispiel ist Insulin, das man für die Diabetes-Behandlung benötigt. Insulin, ursprünglich aus Schweineleber gewonnen, war ein sehr teures Medikament, das sich nur ganz wenige Leute leisten konnten. Mittlerweile wird es biotechnologisch sehr billig hergestellt. So etwas macht Biotechnologie möglich.

Kann man erklären, warum das in der Biotechnologie möglich geworden ist?

Wir sind inzwischen in der Lage nachzuvollziehen, was innerhalb von Zellen geschieht. In der Biotechnologie hat man komplizierte Moleküle, etwa Proteine, die sehr groß sind und die nur in einer Zelle hergestellt werden. Diese Moleküle sind verantwortlich für die vielen komplizierten Verbindungen, ohne die Leben nicht funktionieren könnte. Da passiert in einer Millisekunde im Körper unglaublich viel. Das können wir heute sehr exakt beobachten und auch beeinflussen.

Was waren die wissenschaftlichen Schritte, um in die Tiefen von Zellen und Molekülen vorzustoßen und diese für uns arbeiten zu lassen?

Das waren sehr viele kleine Schritte. Angefangen hat alles mit der Entschlüsselung der Doppelhelixstruktur der DNA durch James Watson und Francis Crick im Jahr 1953. Möglich wurde das erst durch die Forscherin Rosalind Franklin mit ihrer Arbeit zur Röntgenstrukturanalyse. Damit war die Grundlage für die moderne Gentechnik mit der Genschere gelegt. CRISPR/Cas9, wie das wissenschaftlich genannt wird, kann man als molekulares Skalpell beschreiben. Wir können die DNA an einer exakten Stelle durchtrennen und so Gene ausschalten oder an der Schnittstelle neue Abschnitte einfügen.

Der Einsatz von Gentechnik ist doch sehr umstritten. Spielen wir hier nicht „Gott“ und greifen in die Schöpfung ein?

Mein Vater, ein technischer Mathematiker und Softwareentwickler, hat mich immer gefragt: „Wie ist es dir heute gegangen, warst du wieder im Labor Gott spielen?“ Wir verknüpfen Gentechnik schnell mit Auswüchsen wie dem Klonen von Tieren und Menschen, der Erschaffung des „perfekten“ Menschen. Das hat aber nichts damit zu tun, was wir im Labor wirklich machen: Wir verändern die Genstruktur von Mikroorganismen und Viren, also von ganz kleinen, einfachen Einheiten in der Biologie. Das ist nicht gefährlich, aber trotzdem gibt es große Auflagen, und wir betreiben sehr hohen Aufwand, damit nichts aus dem Labor in die Natur entweichen kann. Wir fragen uns, wie die Produktion von Proteinen und Enzymen funktioniert und bringen dann mit gentechnischen Werkzeugen etwas ein, damit Mikroorganismen zum Beispiel Insulin oder ein Antibiotikum produzieren. Was hinausgeht, sind ausschließlich die fertigen Produkte. Der Herstellungsprozess ist so fragil, dass die veränderten Mikroorganismen außerhalb des Labors keine Überlebenschance haben. Selbst der Kontakt mit dem Säureschutzmantel der menschlichen Haut würde diese Mikroorganismen sofort abtöten. Deshalb sind in biochemischen Labors die Hygienebedingungen auch extrem hoch.

Wir kennen den Satz „Survival of the fittest“. Der Fitteste ist nicht der Stärkste, sondern der am besten Angepasste. Wenn wir nun einen Mikroorganismus verändern, ist er nicht mehr am besten angepasst, denn wir haben ihm ja eine zusätzliche Aufgabe aufgebürdet. Er hat also einen Evolutionsnachteil. Außerhalb des Labors ist er damit im Nachteil und nicht überlebensfähig.

Aber es gibt doch auch genmanipulierte Lebensmittel?

Am Beginn steht immer die Abwägung von Risiken und Nutzen. Im Idealfall ist es nicht wirtschaftlicher Nutzen, sondern etwas zum Wohle der Menschheit. Darum hat mich persönlich Biotechnologie immer so fasziniert.

Ich gebe ein Beispiel:

Mit Genmanipulation wurde der sogenannte „Golden Rice“ entwickelt. In Ländern, in denen Reis das vorrangige Lebensmittel vor allem der armen Bevölkerung ist, gibt es sehr viele Augenleiden. Ursache ist ein chronischer, ernährungsbedingter Vitamin A-Mangel. Wir nehmen Vitamin A über die Nahrung auf, deshalb sagt man, dass Karotten gut für die Augen sind. In Reis ist aber kein Vitamin A enthalten, sondern nur eine Vorstufe, die unser Körper nicht verarbeiten kann. Im „Golden Rice“ wurde ein Enzym eingebracht, mit dem aus dieser Vorstufe tatsächlich Vitamin A wird. Wer diesen Reis isst, hat keinen Vitamin A-Mangel mehr. Der Name „Golden Rice“ kommt nun daher, dass der Reis vom Karotin eine rötliche Färbung bekommt. Diese Entwicklung ist ohne Patent und kann überall dort verwendet werden, wo es von Vorteil ist, den Vitamin A-Mangel zu reduzieren. Auch so etwas ist Gentechnik.

Ist die Gentechnik aus der Entwicklung von Medikamenten wegzudenken?

In der Heilkunde existiert der Volksglaube, dass alles, was pflanzlich ist, gut ist. Im Endeffekt ist das genau das, was die Biotechnologie macht: Man sucht in der Pflanze den entscheidenden Wirkstoff und lässt alles andere weg. Das sind oft auch Stoffe, die Nebenwirkungen haben können, die wir nicht wollen. Dank der Wissenschaft verstehen wir, was wir aus der Pflanze brauchen, produzieren genau das und packen es in Medikamente. Die Biotechnologie bringt hier einen entscheidenden Vorteil. Bisher haben wir sehr viel chemisch produziert. Chemie braucht oft starke Lösungsmittel, Hitze und damit sehr viel Energie. Das erhöht zum einen die Kosten, zum anderen haben wir bei den Lösungsmitteln problematischen Abfall.

Biotechnologie hat den Vorteil, dass wir mit Enzymen und Mikroorganismen arbeiten. Enzyme funktionieren bei Körpertemperatur, denn das sind die Lebensbedingungen eines Mikroorganismus. Ist der Prozess einmal in der Forschung entwickelt, ist der Herstellungsprozess von Wirkstoffen wie Insulin sehr viel einfacher, günstiger und ressourcenschonend.

Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es in den Laboren, damit potenziell gefährliche oder schädliche Mikroorganismen nicht entweichen können?

Es gibt vier Sicherheitsstufen. Das klassische Labor, wie es jede Universität hat, ist S1. Die höchste Stufe ist S4, das sind Labore, die etwa mit Ebola arbeiten. In Österreich gibt es kein einziges dieser Labore, wir arbeiten aber daran eines zu bekommen. Dort findet man ein komplettes Schleusensystem, in dem man nur mit Schutzanzügen arbeitet. Diese Forschung in Hochsicherheitslabors machen wir deshalb, weil wir herausfinden wollen, wie hochgefährliche Viren funktionieren. Das ist die Grundlage, um Wirkstoffe gegen derartige Krankheiten zu entwickeln.

Etwas ganz anderes ist die klassische Biotechnologie-Produktion wie etwa bei bisy.at in Gleisdorf. Dieses Unternehmen ist Teil unseres Clusters. Hier hat ein Forscher ein Unternehmen aufgebaut, das heute 30 Mitarbeiter:innen zählt, zu 80 % energieautark ist und dessen Ausgangspunkt klassische Bäckerhefe ist. Diese Hefe wird bei bisy gentechnisch so verändert, dass sie z.B. ein Antibiotikum herstellt. Diese veränderte Hefe ist jedoch so instabil, dass sie, wenn man sie einfach herumliegen lassen würde, nach zwei Tagen wieder normale Bäckerhefe wäre. Die Risiken muss man aber im Kopf haben und immer bedenken. Meiner Meinung nach steht am Anfang immer die Neugierde, man möchte wissen, wie etwas funktioniert. Erst wenn man etwas gelernt und verstanden hat, kann man fundiert beurteilen, wo die Risiken tatsächlich liegen. Es ist zu einfach zu sagen, Gentechnik ist böse, die Natur ist gut. Wir haben im Studium eine spannende Vorlesung zu diesem Thema gehabt – „Gentechnik und Bioethik“, dieses Thema wird durchaus ernst genommen.

Es ist immer eine Nutzen-Risiko-Abschätzung, dafür machen wir alle ein Qualitätsmanagement.

Insbesondere bei der Gentechnik, die für die Herstellung von Medikamenten zum Einsatz kommt, steht der Nutzen weit über dem Risiko. Hier verändern wir Mikroorganismen, die für uns Wirkstoffe produzieren.

Es ist nicht die Frage, ob man etwas am Genom des Menschen verändern darf. Ein Bakterium ist so viel einfacher als ein Mensch. Ich komme selbst aus der Mikrobiom-Forschung. Ein Mikrobiom ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einer abgegrenzten Fläche. Am bekanntesten ist das Mikrobiom im Darm, im Körper und selbst auf der Haut gibt es viele weitere. Unser Körper ist von mehr Zellen besiedelt, als wir Körperzellen haben. Wir tragen ungefähr zwei Kilo Mikroorganismen mit uns herum, ohne die würde gar nichts funktionieren. Die Vielfalt, die Diversität, ist die Grundlage, auf der Leben, auch unser Leben funktioniert. Ein amerikanischer Professor hat das Mikrobiom mit einer U-Bahnstation in New York verglichen: Wenn tagsüber viele da sind, dann ist es sicher. Erst wenn man alles reduziert, in der Nacht, dann kommen die Bad Guys.

Wir setzen aber Gentechnik nicht überall ein. In der Forschung zur Landwirtschaft verwenden wir nur Bakterien und andere Mikroorganismen. Unser Ziel ist es zu identifizieren, welche Mikroorganismen wichtig für bestimmte Pflanzen sind. Dann verstehen wir und forschen nach den natürlichen Freunden der Pflanze und nach den Feinden von Schädlingen. Diese wollen wir im Boden verbreiten, wo sie vielleicht nicht so häufig vorkommen. Wir pushen das Mikrobiom in die Richtung, dass es für eine Pflanzenkultur ein gutes Mikrobiom ist und wir weniger Schädlinge haben.

Wie bringt man dieses Mikrobiom in die Pflanzen oder in den Boden ein?

… einfach mit Wasser in den Boden eingießen.

Wo sind in der Steiermark die Stärken in der Biotechnologie?

Unsere Stärken liegen sicher in der klassischen Forschung. Wir haben junge, innovative Unternehmen. Ein Schwerpunkt liegt sicherlich in der Produktion, in Prozessoptimierung, Technologie und Anlagenbau für die pharmazeutische Industrie. Wir haben ZETA und VTU, die gemeinsam einen sehr großen Anteil an der Planung und am Bau der Biotechnologieanlagen in Europa haben. Das ist eine sehr starke Kernkompetenz hier in der Steiermark.

Welche Mitarbeiter:innen, welche Ausbildungen werden in der Biotechnologie gesucht?

Das reicht von der Verfahrenstechnik und technischen Physiker:innen, bis zu den Biotechnolog:innen. Grundlage ist eine gewisse Nähe zur Technik. Man muss sich für Naturwissenschaft interessieren. Es ist gar nicht so entscheidend, welchen Ausbildungsweg man dann einschlägt. Denn wenn man sich für Life Science, also die vielen Wissenschaften und Fachdisziplinen rund um das Leben und die Gesundheit interessiert, kann man sich beruflich schnell verändern. Man kann alles werden, wenn man in den Life Sciences, also in den Biowissenschaften, eine Ausbildung macht. Das reicht vom klassischen Labor bis hin zu Kommunikation, Marketing, Politik. Man kann immer abzweigen, man kann nie verkehrt gehen, man kann sich jederzeit spezialisieren.

Ich erzähle Schüler:innen immer, dass es nicht so wichtig ist, welche Technologien man lernt. Es ist viel wichtiger, grundlegende Fähigkeiten zu beherrschen. Wie setze ich ein Projekt auf, wie plane ich das, wie kann ich gemeinsam mit einem Team arbeiten. Also Teamfähigkeit, lösungsorientiertes Arbeiten. Viele lassen sich von komplizierten Stellenausschreibungen abschrecken. Firmen schreiben in Ausschreibungen immer alles hinein, was sie an Qualifikationen brauchen könnten. Das Ergebnis ist einfach eine Wunschliste, die niemand zur Gänze erfüllen kann, schon gar nicht, wenn man frisch von der Schule, einer Lehre oder der Uni kommt. Was man mitbringen muss, ist Begeisterungsfähigkeit: Ich will etwas lernen, ich will Teil von etwas sein, das fasziniert mich, das ich finde spannend.

Was fasziniert Sie so an der Biotechnologie?

In der Biotechnologie kann man wirklich etwas für die Gesellschaft machen. Das hat mich immer interessiert: Entweder ich mache was für die Umwelt oder ich mache was für Menschen, also Medizin. Es gibt so viele Zweige der Biotechnologie! Es gibt die Bodenaufbereitung, die Wasseraufbereitung, und auch eine Kläranlage ist BioTech. Ich habe z.B. meine Bachelorarbeit darüber geschrieben, wie man bleibelastetes Wasser mit Mikroalgen aufbereiten kann. Meine Motivation war, dass ich eine Sinnhaftigkeit dahinter gesehen habe. Im Großen sprechen wir daher vom „One Health“-Gedanken.

Was kann man unter „One Health“ verstehen?

Im großen Zusammenhang sprechen wir von der planetaren Gesundheit, die menschliche Gesundheit ist ein Teil davon. Wenn es um uns herum schlecht um den Planeten bestellt ist, wenn zum Beispiel das Wasser verschmutzt ist, dann kann es uns auch nicht gut gehen. Wenn wir etwas für die Umwelt machen, dann machen wir das indirekt auch für die Menschen, weil mit schlechter Luft, schlechten Böden etc. würde es uns auch nicht gut gehen.

Für mich war das eine sehr große Motivation und Faszination zu verstehen, wie Natur und Evolution funktionieren, wie sich alles entwickelt hat und wie schlau das ist. Da ist der Weg automatisch weg vom großen Ganzen hin zu den kleinen Mikroorganismen, den kleinen Enzymen, die dafür sorgen, dass alles Lebendige funktioniert. Neugier und Faszination sind für mich das Wichtigste.

Das sind schöne, einigende Gedanken. Aber wir leben doch in einer Welt, die extrem wettbewerbsgetrieben ist. Das bedeutet auch immer Abschottung voneinander. Bremst das nicht die Entwicklung der Biotechnologie bzw. das Entfalten des „One Health“-Gedankens?

Der Clustergedanke stärkt den Weg der Kooperation. Es gibt kleine Unternehmen, die sich zusammentun, weil sich ihre Technologien ergänzen. Noch einmal ein Plädoyer für die Vielfalt:

Es gibt große Unternehmen, die kleine schlucken, andere wieder setzen lieber auf Kooperationen.

Es gibt kleine Unternehmen, die wollen sich schlucken lassen, es gibt welche, die in ihren Nischen unabhängig bleiben wollen. Oft sind es auch die Rahmenbedingungen, die einen Weg vorgeben.

Die Entwicklung von Medikamenten ist unglaublich teuer. Allein die letzte klinische Phase, die vorgeschrieben ist, bevor ein Medikament auf den Markt darf, kostet einen zweistelligen Millionenbetrag. Das kann ein kleines Unternehmen nicht finanzieren.

Schon in den ersten klinischen Phasen ist es so, dass von 1000 Virenstoffen 990 hinausfallen. Dann bleiben zehn, von denen letztlich drei funktionieren. Viele Start-Ups in der Biotechnologie setzen auf diese Strategie. Sie bringen ein Produkt soweit sie können und lassen es sich dann abkaufen, weil der letzte Schritt nicht mehr finanzierbar ist. Sie machen sich mit dem Geld dann ein schönes Leben oder finanzieren ihre nächste Idee damit.

So landet die Idee für ein neues Produkt bei einem großen Unternehmen der Pharmaindustrie.

Die kleinen, innovativen, jungen Unternehmen bringen die neuen Lösungen. Die Großunternehmen, die Tanker, brauche ich für den Verkauf, den Vertrieb. Ich kann als Start-Up keine Produktionsanlage aufbauen, nicht in jedem europäischen Land ein Vertriebsteam bereitstellen, das die Krankenhäuser, die Gesundheitseinrichtungen etc. genau kennt. Die großen Unternehmen bieten Stabilität, den Marktzugang, den Vertrieb, das Netzwerk, die Produktionsanlagen und die kleinen Unternehmen liefern die Innovationen. In der Pharmaindustrie gibt es fast keine Innovation mehr von den Großunternehmen, dennoch sind sie unverzichtbar.

DI Pascal Mülner ist stellvertretender Geschäftsführer des Clusters human.technology.styria mit Sitz in Graz.

Die Human.technology Styria GmbH (HTS) ist eine 2004 gegründete Clusterorganisation mit dem Schwerpunkt Humantechnologien.

HTS versteht sich als Brückenbauer zwischen Forschung, Entwicklung und Wirtschaft mit dem Ziel, Synergien zu schaffen und Innovationen der steirischen Wirtschaft gezielt zugänglich zu machen, neue Partnerschaften zu entwickeln und die nationale und internationale Sichtbarkeit der Region zu steigern.

www.humantechnology.at


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